Titel:

Nachtflug – Kulturzeitschrift

Jahr: 1981
Kategorien:
Auftraggeber: Schwarzwurzelverlag, Reutlingen
Gestaltung / Illustration: Michael Kimmerle / Atelier Rotlicht
Untertitel: Anzeige
Beschreibung: Nachtflug AZ kl

Startsignal für den »Nachtflug«

Brandneue Reutlinger Zeitschrift zu Kultur und Politik

Reutlingen. (Th. H.) Nachdem die ersten Ideen nunmehr gut drei Jahre alt sind, erste konkretere Realisierungsvorschläge auch schon ins zweite Jahr gehen, ist es jetzt dennoch wahr geworden: Die Herausgeber des »Nachtflugs« geben den Start der ersten Nummer bekannt. »Nachtflug« Reutlinger Beiträge zu Kultur und Politik, ist eine Zeitschrift, die in unregelmäßigen Abständen erscheinen soll und die sich als Aufgabe gestellt hat, versteckte Kultur im Raum Reutlingen wenigstens in einigen Bereichen aufzuarbeiten, zu dokumentieren. Die Konzeption der ersten Nummer und die konkrete Arbeit daran hat gut und gern ein halbes Jahr in Anspruch genommen. Entstanden ist dabei ein recht umfangreiches Druckerzeugnis, in dem auf über 110 Seiten versucht wird, Zeitgeschichtliches, Historisches und Künstlerisches aus Reutlingen und Umgebung darzubieten. Die grobe Unterteilung des »Nachtfluges« in die drei genannten Bereiche geht nicht zuletzt auf Interessen und Erfahrungen zurück, die von den Herausgebern – die Betreiber des Schwarzwurzelverlages und des Ateliers Rotlicht – eingebracht wurden. Zum literarisch-künstlerischen Bereich sei dabei angemerkt, daß man sich seit dem relativen Bekanntwerden des Schwarzwurzelverlages dort immer wieder der recht undankbaren Aufgabe gegenüber sah, Manuskripte, die eingingen, wieder zurückweisen zu müssen, da die Kapazität des Verlages relativ beschränkt ist. Oft handelte es sich auch um kleinere Beiträge, die allein für ein Buch nicht in Frage gekommen wären. Kurz: Es fehlte ein Forum, auf dem erste Schreibversuche, Gedichte, Erzählungen, Märchen vorgestellt werden konnten, wo neue Leute ohne große Schwellenangst neue Formen zum Ausdruck bringen konnten – und dies nicht allein im literarischen, sondern ebenso im visuellen Bereich. Dementsprechend wurde »Nachtflug« in einem relativ großen Buchformat konzipiert, um so für Fotos, Zeichnungen, Grafiken, Illustrationen ein breites Spektrum an Möglichkeiten zu eröffnen. In der Konsequenz ist es auch der künstlerisch/literarische Bereich, in dem die größte Vielfalt von Ideen zu finden ist. Mundart von Horst Stein und Eva Mienhardt, Frauen-Gedichte von Susanne Gengnagel und Carmen Bachmann, Märchen, Comics und Satire von Rainer Bätz, Radierungen, Fotos und literarische Reportagen. Drei der vier »Nachtflug«-Redakteure sind ehemalige, verhinderte, zumindest aber ausgebildete Geschichtslehrer. Da wäre es verwunderlich, fehlte ein historischer Teil. Reutlingens Geschichte aufzuarbeiten – ein hoher Anspruch! Schnell ist man bei langweiligen, theoretischen Exkursen, ebenso schnell bei verniedlichender Heimattümelei. Doch es geht nicht um das Ausgraben von Geschichtchen und Anekdötchen, dazu ist auch die Reutlinger Geschichte zu sehr von harten Auseinandersetzungen, Entwicklungen und Kämpfen geprägt. Es soll vielmehr eine Verbindung hergestellt werden von heutigen Auseinandersetzungen und Widersprüchen zu Wurzeln in der Vergangenheit. Es sollen Bausteine freigelegt werden von einem lebendigen Geschichtsbild, in dem nicht nur von Königen, Generälen, von denen da »oben« die Rede ist, sondern vielmehr von den jeweils »unteren«. »Nachtflug I« bringt eine ausführliche Darstellung der Auseinandersetzungen und des Ablaufs der Revolution von 1848/49 in Reutlingen, geschrieben von Helmuth Haasis, einem unermüdlichen Ausgräber von Spuren hiesiger Geschichte. Margarete Hannsmann, die ebenfalls zu diesem Themenkomplex einen Beitrag geschrieben hat, fordert auf zu einer aktiven Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart. Bei der Konzeption des historischen Teils läßt sich ein Bezug zum Namen der Zeitschrift herstellen: Nachtflug – zwar ist es Nacht, sind die Verhältnisse auch und gerade düster, bedrohlich, aber gibt Möglichkeiten zu fliegen, darüber hinaus zu kommen. Margarete Hannsmann, die ebenso wie Helmuth Haasis in der ersten Nummer mit zwei Beiträgen vertreten ist, erscheint auch im sogenannten »aktuellen«, zeitgeschichtlichen Teil der Zeitschrift. Schwerpunktthema: HAP Grieshaber, seine Kunst, sein Leben, die Vermarktung nach seinem Tod. »Ein alter Hut«, wird man einwenden, doch den »Nachtfliegern«, geht es nicht so sehr um tagespolitische Situationen, absolute Aktualität, dazu wäre die Zeitschrift auch nicht der richtige Rahmen. »Nachtflug« soll vielmehr Raum bieten für ausführlichere Aufarbeitung von gegenwärtigen Themen und Entwicklungen. So wird hier die Frage gestellt, ob viele »Würdiger« Grieshaber und seine Kunst überhaupt begriffen haben. Es wird gezeigt, daß er eigentlich recht schlecht taugt für eine bloße kulturelle Bereicherung des Stadtwappens einer Stadt, deren Erscheinungsbild und Entwicklung ziemlich gegensätzlich zu den politischen Vorstellungen des Holzschneiders sind. Stadt und Stadtentwicklung werden anhand einer Fotoreportage über Orschel-Hagen beleuchtet. Martin Storz fragt in seinem Beitrag über Reutlingens »Gartenstadt« ohne viele Worte: Und wo sind hier die Menschen? »Nachtflug« wird in den nächsten Tagen erscheinen und ist in den meisten Reutlinger Buchhandlungen und in vielen anderen Geschäften auch in der Umgebung erhältlich. Die Redaktion hofft auf eine lebendige Auseinandersetzung über Inhalt und Form, sei es in Gesprächen, Briefen oder Beiträgen für die nächste Ausgabe. Nach den Sommerferien – soviel sei hier noch angemerkt – wird sich »Nachtflug« in festlichem Gewand vorstellen, ein Fest mit Liedern, Lesungen, Tanz und kulinarischen Genüssen.